Jahrelang war mein beruflicher und damit auch persönlicher Kalender von einer sogenannten fünften Jahreszeit (nein, nicht dem Karneval) diktiert. Wenn sich die Sommerferien dem Ende näherten, begann die Vorbereitung auf die zahlreichen Bootsmessen, die unverzichtbar für das Yachting-Business schienen. Friedrichshafen, Cannes, Monaco, Hamburg, Genua, Fort Lauderdale und mitunter Paris hießen die Ziele. Unzählige Gespräche wurden geführt, etliche Visitenkarten ausgetauscht und stets die Gewissheit mitgenommen, dass das nächste Geschäftsjahr noch besser als das aktuelle werden würde. Den Lehman-Crash einmal außen vorgelassen, stimmte dies fast durchgängig: Die BAVARIA AG wächst seit vielen Jahren um mehr als zehn Prozent!

Als die Covid-19-Pandemie dann in unser aller Leben einzog, befürchtete ich Schlimmes. Wie sollten wir Kontakte pflegen, neue knüpfen und mit möglichen Neukunden – Eignern von Booten und Yachten zwischen fünf und 50 Metern Länge – unkompliziert und erst einmal ganz unverbindlich ins Gespräch kommen? Messen, das schien mir wie in Stein gemeißelt, sind die ultimative Möglichkeit, Geschäft zu generieren.

Nun, die sogenannte Corona-Krise belehrte mich (kurz- bis mittelfristig) eines Besseren. Wie schon in einem meiner vorigen Blogs beschrieben, war es selbstverständlich im März und April relativ ruhig bei uns. Niemand konnte abschätzen wie sich die Lage entwickeln würde, also kaufte eigentlich niemand ein Boot. Als das Wetter dann aber besser wurde, die Saison oder der Sommerurlaub näher rückten und sich die Kenntnis über das Virus präzisierte, stand das Telefon bei der BAVARIA AG eigentlich nicht mehr still. Aktuell erfüllen wir trotz der besonderen Umstände locker unseren Businessplan beziehungsweise liegen sogar leicht darüber. Und da Versicherungen auch immer als Branchenbarometer funktionieren, bedeutet dies: Es werden reichlich Boote und Yachten gekauft, obwohl sie zuvor niemand in Palma, Dubai, Neustadt, Cannes, Athen oder Monaco sehen konnte. 

Benötigen wir Bootsmessen?

Benötigen wir also keine Messen mehr? Das wäre leicht zu konstatieren. Doch das Geschäft der BAVARIA AG in den vergangenen Monaten beruht auf bereits in 2019 angebahnten Verträgen für Neuboote und auf einem extrem frequentierten Brokerage-Markt, weil ein Boot oder eine Yacht für viele Menschen die perfekte Möglichkeit für einen Urlaub mit Social Distancing-Charakter bedeutete. Nicht umsonst waren viele Zubehör-Händler nahezu ausverkauft, was auf viele Neueigner schließen lässt, die erst einmal eine vernünftige Grundausrüstung benötigten. Auch Segelschulen verzeichneten einen regelrechten Ansturm.

Wird dies so auch in 2021 so weiterlaufen? Ich kann es mir schlichtweg nicht vorstellen. Der Gebrauchtboot-Markt ist schon ziemlich leergefegt, im Sommer haben wir diese fürchterliche Pandemie hoffentlich einigermaßen im Griff und demnach werden die Menschen auch wieder andere Ferien planen als auf einem frisch gekauften Boot mit der Familie durch die Ostsee zu fahren. 

Geht es ums Neuboot-Geschäft, das im kommenden Jahr hoffentlich stabil bleibt, dann ist das Kauf-Erlebnis außerordentlich wichtig. Warum werden beispielsweise auf der boot Düsseldorf so viele Kauf- und Vorverträge unterzeichnet? Weil die Kunden vergleichen, mehrere Modelle anschauen, Stoffe fühlen, Hölzer betrachten und überhaupt ein Raumgefühl entwickeln können. Eine Yacht oder ein kleines Boot sind kein Paar Schuhe, das der Paketdienst bei Nichtgefallen am kommenden Tag kostenlos wieder abholt. Man kann sicher eine Ausstattung im Internet konfigurieren – dies bieten inzwischen ja zahlreiche Marken an – aber um Assets mit einem Wert von 500 000, zwei Millionen oder auch „nur“ 50 000 Euro zu erwerben, muss ich diese doch zunächst anfassen, betreten und in natura begutachten. So etwas funktioniert nur vor Ort bei Händlern oder eben idealerweise auf einer Messe, wo man gar mehrere Anbieter vergleichen kann.

Um die etwas provokante Frage, ob wir Messen benötigen, zu beantworten: Ja, natürlich! Welche dies in Zukunft sein werden, wird sich zeigen. Auch, ob sich – wie zuletzt in Friedrichshafen – mit einem Viertel der üblichen Besucher der nahezu gleiche Umsatz erzielen lässt, bleibt ein spannender Aspekt. Als nächstes steht für die BAVARIA AG, wie für viele andere Wassersport-Unternehmen auch, die boot Düsseldorf an. Hoffen wir alle gemeinsam, dass sie in irgendeiner Form stattfinden kann.

Ihre Sandra Ahrabian, Vorstandsvorsitzende der BAVARIA AG

Sandra Ahrabian

Vorstandsvorsitzende BAVARIA AG